Wenn ich nicht selbst unterwegs bin, freue ich mich natürlich sehr über e-Mails aus fernen Ländern. Letzte Woche kam Post von einer guten Freundin, die es nach Ghana verschlagen hat. Ich poste die Urlaubspost hier mit ihrem Einverständnis:
Date: Sat, 17 Jan 2009 17:38:23 +0100
Subject: sonnige Grüße aus Westafrika
Akwaaba Ihr Lieben!
Da bin ich nun vor heute genau einer Woche von frostigen Minusgraden in die tropische Hitze Ghanas katapultiert worden und finde es großartig. Ein bisschen weniger Schwitzen wäre natürlich auch ganz angenehm, aber ich will nicht meckern, denn mir gehts ziemlich gut hier.
Nachdem ich am vergangenen Sonnabend Abend mit G., der Frau für die ich als persönliche Assistentin arbeite, und ihrer Kollegin G. in der Hauptstadt Accra gelandet und völlig erschöpft ins Bett gefallen bin, war am Sonntag Zeit, etwas ruhiger anzukommen, unsere Zimmer einzurichten, einen Streifzug durchs Viertel zu machen und die Seele hinterher kommen zu lassen.
Kleiner Exkurs für diejenigen mit denen ich länger nicht gesprochen habe: Ich bin für drei Monate in Ghana/Westafrika um G., die hier als Choreographin an einem Tanzprojekt mit ganahischen TänzerInnen mit und ohne Behinderung arbeiten wird, in ihrem Alltag zu unterstützen. Diesen Nebenjob habe ich in Köln im September begonnen und da G. eine Weltenbummlerin ist und als Rollifahrerin ihre persönlichen AssistentInnen auch auf Reisen braucht, habe ich diese großartige Gelegenheit nach Afrika zu reisen sehr gerne wahrgenommen. Ihr Projekt werde ich auch journalistisch begleiten, habe vom WDR Aufnahmetechnik ausgeliehen bekommen, und will im Anschluss Radioberichte darüber machen.
Heute Abend kommt mein Kollege R. nach, mit dem ich mir die Arbeit für G. teile, und dann habe ich erstmal frei und kann mich meinen anderen Recherchen widmen. Die werden mich unter Anderem auf den und entlang des Volta-Stausees (dem größten in Afrika) führen. Aber erstmal werde ich mich noch etwas in Accra umtun und rauskriegen wie ich wo am besten durchs Land reise.
Was ziemlich schnell auffällt ist, dass die Leute hier total nett und super höflich sind. Man kommt schnell ins Gespräch und bleibt wahrscheinlich nie irgendwo hilflos liegen.
Unser Viertel heisst Osun und ist eines der beliebten innenstädtischen Viertel zum Weggehen in der Drei Millionen-Stadt. Es gibt viele Bars, Restaurants und Clubs mit Livemusik wo zu Highlife-Musik getanzt wird. Die Hauptstraße heisst Oxford-Street; ist eine viel befahrene zweispurige Straße mit einigen neuen Gebäuden, Banken, Telekommunikationsläden und einem der bekanntesten Supermärkte. Gesäumt wird sie von vielen Straßenständen, teils Holzhütten, teils Blechcontainer mit Haushaltsbedarf, Obst und Gemüse, DVD- und CD-Raubkopien, Modeschmuck, Kleidung, afrikanischen Holzmasken oder Garküchen.
Die meisten Gebäude in unserem Viertel sind neueren Datums und eine Mischung aus Beton und Glas, wie überhaupt in der ganzen Stadt. Die Wohnhäuser wurden eher flach gebaut, repräsentative Gebäude auch höher. Dazwischen gibt es viele Baulücken, viel Grün und das ein oder andere Huhn läuft in den betonierten Abwasserrinnen rechts und links der Straße, die sehr tief sind.
Büroangestellte in Kostüm und Anzug sind genauso unterwegs wie Männer und Frauen in farbenprächtigen Kleidern und Hemden mit afrikanischem Muster oder westlichen Tops und Jeans, Rastamänner sowie Kinder und Jugendliche mit Schuluniform. Taxis und Sammeltaxis, Luxusautos mit getönten Scheiben und Klimaanlage, Mofas, vereinzelte Fahrräder, LKWs und verbeulte PKWs drängeln sich zur Rushhour. Hupen ist oberstes Gebot und Musik schallt sowieso immer von irgendwoher.
Biegt man in die Nebenstraßen ein, wo auch unser Hotel liegt, wirkt es schnell sehr ländlich und ruhig. Der Verkehr nimmt ab, die Asphaltstraßen weichen staubigen Sandpisten. Kleine Läden und Werkstätten bieten ihr kleineres Sortiment und ihre Dienstleistungen wie Nähen, Haare machen, Behördenschreiben tippen oder Schuhe reparieren an. Die Wohnhäuser sind von Steinmauern und Zäunen umgeben über die Palmen, Bananen- und Papayastauden sowie pink und weiß blühende Bougainvilleensträucher ragen. Auch der Abwasserkanal ist üppig grün bewachsen, wenn der flüssige Inhalt auch nicht immer lecker riecht.
Unser Hotel ist ein Gelände bestehend aus mehreren großen Steinbungalows, einem Restaurant mit leckeren lokalen Gerichten die im hölzernen Küchenbungalow zubereitet und auf der Terrasse unter einem Pavillon an Plastetischen- und Stühlen serviert werden, sowie ein wenig Rasenfläche, Mangobäumen und zahlreichen Sträuchern.
Die Zimmer sind einfach eingerichtet und nicht gerade billig. Ich fühle mich sowohl vom Standdard her, als auch vom Ausblick auf den betonierten Hof vor unserer kleinen Privatterrasse oft an cubanische Verhältnisse erinnert. Sehr schön ist der riesige knorrige Baum direkt vor unserer Nase, der rot blüht und gefiederte Blätter hat. Die gibt es auch in Lateinamerika und überhaupt finde ich viele Vergleiche in dem was ich sehe, sei es die Vegetation, die Bauweise der 60er-Jahre- Häuser und modernen Gebäude, die Sammeltaxis die auf einen Wink halten oder die „Jesus liebt dich“-Aufkleber auf den Heckscheiben der Autos.
G. und ich haben uns ganz gut eingerichtet in unseren zwei Zimmern mit Küche, Dusche und Bad, so dass die täglichen Handgriffe beim Aufstehen und Schlafen gehen schon angenehm vertraut sind. Wir schlafen unter Moskitonetzten, denn die Viecher sind nicht zu unterschätzen und machen spätestens gegen 17 Uhr großflächigen Insektenspray-Einsatz notwendig. Bereits morgens ist es zum schwitzen heiß und wenn wir aus den ventilator-gekühlten Zimmern in die glutheiße Küche kommen oder auf der Terrasse im Schatten frühstücken, läuft bereits der Schweiß.
Osun liegt recht zentral, ca. 15 Minuten mit dem Auto vom Meer entfernt und auch nah am Bankenviertel und dem Makola-Markt der alles bietet und sich über mehrere Straßenzüge hinzieht. Hier tobt das Leben und vor allem der Handel. Dicht an dicht haben sind die Waren (Textilien, Lebensmittel, Kosmetik, Stoffe, Gebrauchsgegenstände Made in China, Snacks…) auf dem Boden, in selbst gezimmerten Ständen, unter Sonnenschirmen aufgetürmt. Viele StraßenverkäuferInnen sind mit Tabletts voller fritiertem Fisch, Obst, Nüssen und Gebäck oder Ständern mit Gürteln, Sonnenbrillen und Ketten unterwegs. Die meisten Frauen transportieren ihre Ware mit bewundernswertem Gleichgewicht auf dem Kopf und ihre kleinen Kinder im Tragetuch auf dem Rücken. Das mit eigenen Augen zu sehen, ist schon sehr beeindruckend.
Gestern haben wir uns zu dritt in das Getümmel gestürzt und ich war überrascht, wie entspannt wir uns bewegen und einkaufen konnten. Einzig G. Rollstuhl sorgte für Aufsehen und viele Leute waren erstaunt, dass sie einen Motor hat und per Joystick steuert. Ich hätte gerne fotographiert, wollte aber nicht ungefragt rumknipsen und werde noch ein paar Mal in diese bunte Welt eintauchen; auch um Geräusche aufzunehmen.
Ganz am Meer liegt das alte Accra, genannt Jamestown, mit Häusern und Hausruinen aus der Kolonialzeit (die 1957 endete). Die Menschen die hier leben, sind ziemlich arm. Viele leben vom Fischen. Die Holzhütten und Häuser stehen hier dicht an dicht. Sonst beherrschen in Accra Betonbauten im 60er-Jahre-Charme das Bild und die Stadt ist sehr weitläufig und von großen Hauptverkehrsadern durchzogen die von überdimensionalen Werbetafeln und StraßenhändlerInnen gesäumt werden. Je nach Tageszeit kann man im Taxi für die gleiche Strecke 10 Minuten oder eine Stunde brauchen.
Accra ist sehr grün, denn das Ballungszentrum ist so unkontrolliert zusammen gewachsen, dass es immer wieder Freiflächen gibt, auch der Flughafen ist mittendrin, sowie ein riesiges Militärareal der Berufsarmee.
Entlang der großen Straßen stehen oft gigantische Bäume und meine Lieblingsallee ist natürlich die mit den Abermillionen von Flughunden die tagsüber in schwarzen Trauben von den Ästen hängen. An den Kreuzungen finden sich meist Schilderwälder die darauf hinweisen, was in dieser Straße an Einrichtungen zu finden ist, denn Straßennamen gibt es nicht. Wenn man mit dem Taxi irgendwo hin möchte, nennt man als Orientierungspunkte die großen Kreisverkehre und das Viertel oder einen Ort den alle kennen, wie z.B. ein beliebtes Fast-Food-Restaurant.
Trotz der kleinen Wäldchen, Wildnisse und Gärten zwischen den Siedlungen ist es sehr staubig und die rote Erde sehr trocken. Der Verkehr tut sein Übriges und dann ist gerade auch noch die Hamatan-Zeit in der der Himmel immer dunstig ist vom Sahara-Staub der herüber weht.
Zusammen mit den 30 Grad Plus ergibt das eine schmierige Dreckschicht auf der Haut und da reagiere ich etwas allergisch drauf, hoffe aber, das gibt sich noch.
Dass ab dem Nachmittag mit Moskitos zu rechnen ist, erschwert die Sache, denn eigentlich helfen nur lange Sachen und darin geht man kaputt. Aber die Viecher kommen auch durch die Jeans und wir sind allesamt schon etwas zerstochen. Etwas blöde wegen der Malariagefahr, aber vielleicht sticht mich ja immer genau die Mücke, die keine Erreger in sich trägt. Mache mich da bisher nicht verrückt, denn ändern könnte ich es jetzt auch nicht mehr.
Seit mehreren Tagen trifft sich G. mit einem hiesigen Choreographen und quetscht ihn über alle möglichen Rituale aus, denn darum soll sich das Tanzstück drehen, dass sie zusammen mit den Tänzern und Tänzerinnen entwickeln will. Die müssen jedoch erst noch gefunden werden. Am Dienstag waren G. und der Produktionsleiter ihrer Kölner Tanzcompany deshalb bei der „Asociation of disabeled persons“ um das Projekt vorzustellen und die Frauen und Männer zu dem zweitägigen Workshop einzuladen, an dessen Ende fünf Menschen mit und ohne körperliche Besonderheit ausgewählt werden, um in den kommenden zwei Monaten täglich an dem Stück zu arbeiten. Auch ausgebildete TänzerInnen werden an der sogenannten Audition teilnehmen und ich bin schon sehr gespannt dabei zu sein. Dieses Treffen fand ich schon sehr interessant und habe fleissig mitgeschnitten.
Gestern (Freitag) waren wir an der Uni, etwas außerhalb, bei einem Musik-Professor, der die Musik zum Stück komponieren wird. Heute haben wir den Bühnenbildner getroffen. Die Kostüme wird eine verrückte Dänin entwerfen, die seit 10 Jahren hier lebt. Woran alles gedacht werden muss! Das wird ein richtig professionelles Tanztheater-Stück und diesen Prozess zu begleiten, finde ich total spannend (davon bei den nächsten Berichten sicherlich mehr).
Bei solchen Außer-Haus-Terminen, auf denen ich G. begleite, um sie z.B. vom Elektro-Rollstuhl in das Taxi zu setzen und wieder raus zu holen, kriege ich gleichzeitig viel von der Stadt mit, und so fahre ich mit offenen Augen durchs Ministerien-Viertel mit seinen Baumriesen und Betonmauern, am futuristischen Nationaltheater vorbei oder einem riesigen Sportstadion (beliebstester Sport: Fußball), dem Denkmal für die Gründer der „Organisation Afrikanischer Einheit OAU“, dem riesiegen Monument das zur 50jährigen Unabhängigkeit vor zwei Jahren in Meernähe gebaut wurde und gigantischen Werbetafeln vorbei, auf denen dem Anfang Januar nach 4 Jahren Oppositionspolitik wiedergewählten Präsidenten „Prof. Atta Mills“ gratuliert wird, während daneben noch verblichene Wahlplakate der anderen Parteien prangen und daneben wiederum für eine innerafrikanische Fluglinie oder Hightech-Unterhaltungstechnik geworben wird.
An jeder Ampel bieten mobile StraßenhändlerInnen ihre Feuerzeuge, Lebensmittel oder Schuhcreme an. Meine Hand griff automatisch nach meinem Rucksack, weil es in Lima auf Schritt und Tritt oberstes Gebot war, auf seine Sachen zu achten und am besten gar nichts dabei zu haben. Das ist hier sehr viel entspannter und wir können auch Abends problemlos allein unterwegs sein. Mit Stacheldraht und Alarmanlage schirmen sich eigentlich nur die reichen Leute ab, das scheint in den meisten Stadtgebieten ansonsten nicht notwendig zu sein.
Heute bin ich wie gesagt eine Woche hier und fühle mich schon ziemlich vertraut hier. Allerdings gehe ich kräftemässig etwas auf dem Zahnfleisch, weil ich seit fast 2 Wochen in der Schicht für G. bin. Freue mich erstmal aufs Ausschlafen, wenn mein Kollege da ist.
Mit ganz lieben Grüßen aus dem fernen Ghana und einer schwitzigen Umarmung
S.